Der Architekt und Gestalter Charles Rennie Mackintosh (1868–1926) ist für seine Bauprojekte in Schottland bekannt, allen voran die Glasgow School of Art, für die 1897 der Grundstein gelegt wurde und die als sein Hauptwerk gilt. Nur kurz darauf erhielt Mackintosh 1898 aus München seinen ersten Auftrag auf dem europäischen Kontinent. Der Verleger der Zeitschrift Dekorative Kunst, Hugo Bruckmann, war durch einen Artikel im Magazin The Studio auf den Schotten aufmerksam geworden. Für Bruckmann entwarf Mackintosh infolgedessen Teile einer Speisezimmereinrichtung – Schränke, Beistelltisch, Türen und Wanddekoration. Davon erhalten ist lediglich der Hochschrank, der als eine Art Prototyp verstanden werden kann. Mackintosh gestaltete später auch für sein eigenes Wohnhaus einen Schrank dieser Art. Charakteristisch für das sekretärartige Möbel sind seine reduzierte Formgebung sowie das fehlende Dekor. Einzig die beiden Türfüllungen aus getriebenem Metall bilden eine Ausnahme. Sie weisen eine für Mackintosh typische Bildsprache auf – die Ausführung stammt wohl von Mackintoshs Ehefrau Magaret MacDonald Mackintosh (1864–1933). Dass der Schrank für einen Münchner Auftraggeber entworfen wurde, ist nicht überraschend. Fungierte München doch Anfang des 20. Jahrhunderts als Zentrum der deutschen Reformbewegung, die 1907 in der Gründung des Werkbunds gipfelte. Die Neue Sammlung misst dem Schrank in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, geht doch das Museum selbst auf die reformerischen Ideen um den Werkbund zurück. Diese wiederum hatten ihre Anleihen bei der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung, die auch das Werk von Mackintosh geprägt hat.