Therese Hilbert. Rot
Über die Ausstellung
Ihr Material ist meist Silber und nicht Gold. Ihre Formensprache entwickelt sie aus dem klassischen Kanon der Grundformen und nicht aus dem amorphen Spiel der Natur. Sie umgibt Scheiben mit Rändern wie zu ihrem Schutz, als könnte etwas vom unsichtbaren Inhalt herunter fallen, wenn man sie als Brosche trägt. Behältnisse bieten mit ihren durchbrochenen Fronten den Blick in ihr Innerstes. Ihre Arbeiten strahlen keine Aufgeregtheit, auch nicht Lautheit aus, sondern ihre Archaik vermittelt Ruhe und Kraft.
Nicht zu verwechseln mit Kühle und Distanz. Dem Silber nimmt sie ein ums andere Mal sein charakteristisches Spiel mit dem Licht, bürstet es matt, schraffiert es fein, versieht es mit einer Oxydation oder sudet es – lackiert es mit einem dynamisch aufgetragenen Pinselstrich. Absolute Perfektion bei all ihren Tätigkeiten ist eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit.
Die Schnelllebigkeit unserer Zeit kommt zum Stillstand beim Betrachten ihrer Werke – beim Beginn einer zu erspürenden, vorsichtigen, zaghaften Kommunikation, die uns die andere Ebene, die emotionale Tiefe, entdecken läßt: die freudige, die strahlende, die Kraft sprühende, die überraschende aber auch die verletzliche Ebene der Künstlerin … und am Ende von uns selbst. Als Kinder hielten wir Muscheln an unsere Ohren und die Erwachsenen sagten uns, wir würden das Meer rauschen hören. Es war nicht das Meer, sondern wir horchten in unser Innerstes. So sind Hilberts Schmuckobjekte. Man muss sich Zeit nehmen, in sich selbst hineinhorchen, um die ganze Zartheit, aber auch die unbändige Kraft zu erspüren, die sie enthalten. Die Natur hat dafür – wie für so vieles – ihr eigenes bildliches Synonym geschaffen: den Vulkan. Nach außen hin signalisiert er Ruhe, Schweigen, Untätigkeit, zeigt niemanden sein Innerstes – über Jahre, Jahrzehnte, ja über Jahrhunderte ist es still um ihn. Dann ein Brodeln. Risse zerreißen die Erdkruste. Rauch steigt auf. Am Ende eine gewaltige Eruption. Sein wahres Inneres zeigt sich – feuerrotes Magma tritt ans Tageslicht. Anfang der 1990er-Jahre entdeckte Therese Hilbert dieses faszinierende Thema und wird seither nicht müde, sich in immer wieder neuen und einzigartigen Arbeiten damit auseinanderzusetzen.
Es ließe sich noch viel sagen und noch mehr schreiben über die Arbeiten der 1948 in Zürich geborenen Schweizer Schmuckkünstlerin Therese Hilbert. Sie studierte bei dem Schweizer Goldschmied Max Fröhlich an der Zürcher Kunstgewerbeschule, wurde früh mehrfach mit dem Stipendienpreis des Schweizer Departments des Innern (1972, 1974, 1975) ausgezeichnet und ging dann – mit ihrer Liebe – nach München. Hier setzte sie ihr Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München bei dem Schmuckkünstler Hermann Jünger fort – wie Max Fröhlich einer der Väter des internationalen Autorenschmucks. Seither lebt und arbeitet Therese Hilbert in München. 1974 erhielt sie den renommierten Herbert-Hofmann-Preis. 1978 folgte das Diplom an der Akademie, 1986 der Förderpreis der Stadt München. 2001 wurde ihr – fast möchte man einwerfen endlich – der Bayerische Staatspreis verliehen. Längst hat man erkannt, dass von ihrer Hand Werke moderner Kunst entstehen. Tragbare Werke moderner Kunst. Sie finden sich weltweit in den namhaftesten Museen, in den ausgesuchtesten Galerien für moderne Kunst und profiliertesten Privatsammlungen.
Die Neue Sammlung freut sich sehr, in enger Zusammenarbeit mit Therese Hilbert die erste monografische Ausstellung der Künstlerin zu zeigen. Rund 250 Arbeiten wählte Hilbert dafür aus, beginnend mit Arbeiten aus ihrem fast unbekannten Frühwerk bis zu Arbeiten aus dem Jahr 2020. Freuen Sie sich mit uns auf das Lebenswerk einer außergewöhnliche Künstlerin.
Ausstellungsansichten
Katalog zur Ausstellung
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Kuratiert von:
Petra Hölscher
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