23. Juli 2017

Satellit 1. Alles, was Sie schon immer über das Futuro wissen wollten

Autor*in:

Tim Bechthold

8

min

Lesezeit

Olotila Futuro-Broschüre, 1968-1969.
Foto: Ursprünglich veröffentlicht von Polykem Oy Ab. © Matti Suuronen, Espoo City Museum
5 Vorträge von internationalen Expert*innen

Sonntag, 23. Juli 2017, 11:00–13.00 und 14:00–16:00
Ort: Ernst von Siemens-Auditorium in der Pinakothek der Moderne.
Eintritt frei.

Vorträge

In einer Vortragsreihe berichten und diskutieren fünf internationale Expert*innen über die designgeschichtliche und kulturhistorische Bedeutung des Futuro Hauses, seine Alterung und Umbewertung und die damit verbundenen Herausforderungen für die Konservierung.

11:00
Futuro World
Mit Marko Home (Helsinki).
Auf Englisch.

Das Futuro, das 1968 zum ersten Mal produziert wurde, ist ein ellipsenförmiges Plastikhaus von Matti Suuronen, das die Architektur des Spage-Age und Designexperimente der späten 1960er Jahre mit neuen Materialien und optimistischen Ideen verbindet. Der Kunsthistoriker Marko Home widmet sich der bewegten Geschichte des Futuro von den 1960er Jahren bis heute.

Futuro auf hohen Pfeilern am Rande eines Waldes und Gewässers in Finnland. An der Spitze ragt eine Art blaue, übergroße Antenne aus dem Futuro.
Futuro in Pöytyä, Finnland.
Foto: Marko Home

12:00
Geträumte Zukunft – Pioniere der Kunststoffarchitektur
Mit Dr. Elke Genzel und Dr. Pamela Voigt (Leipzig).
Auf Deutsch.

Die 1960/70er Jahre waren eine Zeit der Freiheit und der Experimente, des Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg. Berauschende Formen und Farben als Sinnbild dieser Lebensfreude bestimmten die Mode, das Design und auch die Architektur.
Die Bauwirtschaft und somit auch die Architekturdiskussion der 1960/70er Jahre hatte ihren Schwerpunkt im Wohnungsbau, dem Wiederaufbau aber auch der Umstrukturierung und Neudefinition des Wohnens nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Einfamilienhaus, welches bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert als Experimentierfeld für neue Architekturformen und neue Werkstoffkonstruktionen Schwerpunkt war, diente auch in der Nachkriegszeit als solcher. Zudem steigerten sich die individuelle Mobilität, der verhältnismäßige Wohlstand und die Freizeit einer breiten Schicht der Bevölkerung. Europaweit kam es daher zu einer großen Verbreitung von Feriensiedlungen in Erholungs- und an Naturschutzgebieten. Zahlreiche Campingsiedlungen mit unterschiedlichsten Unterkünften, vom Zelt- und Caravanplatz, über Kleinstbungalows bis hin zu Ferienhäusern entstanden und werden bis heute genutzt.
Es ist von daher nicht verwunderlich, dass gerade im Bereich der Einfamilien- und Ferienhäuser die noch junge Werkstoffgruppe der Kunststoffe im Ausbau aber auch als Tragwerk, Gebäudehülle und Überdachung getestet wurde. Architekten und Ingenieure experimentierten hierbei vor allem mit den faserverstärkten Kunststoffen, welche für den Einsatz als tragender Baustoff prädestiniert ist. Leichte gedämmte Gebäudehüllen, transluzente Überdachungen, organische Formen und höhlenartige Behausungen wurden in allen Industrienationen erdacht und erschaffen.
Inzwischen werden Gebäude aus GFK als denkmalwürdig eingestuft. Museen und private Sammler schützen und erhalten mobile Kunststoffbauten, wie das Futuro von Matti Suuronen, Finnland 1968. Die aktuelle Wertschätzung erkennt man vor allem am gestiegenen Interesse der Bürger, diese Bauten und Konstruktionen zu kaufen und Instand zu setzen.
Allein die Erfahrungen im Umgang mit GFK sind seitens neuer Nutzer aber auch der Planer und Handwerker nicht oder nur geringfügig vorhanden. Vorurteile gegenüber den Kunststoffen aber auch die Überschätzung ihrer dauerhaften Leistungsfähigkeit, führen zu Schäden während des Umbaus oder Umnutzungen, Reparaturen, der Lagerung und dem Transport von GFK- und Sandwichkonstruktionen. Aber das Wissen wächst und sollte durch den Austausch der Fachleute, durch Veröffentlichungen und Vorträge verbreitet werden.
Daher möchten wir innerhalb des Vortrages Beispiele der Kunststoffarchitektur vorstellen aber auch prägnanteste Schadensfälle, deren Ursachen und Reparaturmaßnahmen exemplarisch darstellen.

Illustration von 11 weißen Futuros an der Küste auf einem grünen Hang. Die Fenster Richtung Meer.
Illustrationen von Rondo-Siedlungen von Casoni&Casoni, 1968.
Foto: Casoni&Casoni

14:00
Keep Watching the Skies. A Flying Saucer Comes to Town
Mit Tim Bechthold (Die Neue Sammlung, München).
Auf Deutsch.

Seit 2004 arbeitet und forscht das Conservation Department der Neuen Sammlung am Futuro Haus. Was zunächst als Forschungsprojekt zur Technologie, Alterung und Konservierung in Berlin seinen Anfang nahm, konkretisierte sich Anfang 2016 mit dem Ankauf eines Futuro Hauses.

Der leitende Restaurator der Neuen Sammlung, Tim Bechthold, berichtet über diese zwei Phasen und gibt einen unmittelbaren Einblick in die Herausforderung, eine frei der Witterung ausgesetzte Design-Ikone aus Kunststoff zu erhalten und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Seien Sie gespannt auf spannende Details zur wechselvollen Geschichte des Münchner Futuro.

Unteransicht des Futuros mit Witterungserscheinungen.
Unteransicht des Futuro Hauses neben der Pinakothek der Moderne.
Foto: Die Neue Sammlung (T. Bechthold)

15:00
Das Leben mit dem Futuro-Haus und der Roadtrip zu den Futuros in der Welt
Mit Cora Geißler (Berlin).
Auf Deutsch.

Die Berliner Filmausstatterin und Futuro Besitzerin Cora Geißler im Gespräch mit Tim Bechthold.

Es geht um unkonventionelle Bergungsmanöver, begeisterte Kooperationen, die Futuro Community und zukünftige Pläne.
Vor allem aber um ihr aktuelles Projekt:
Den Dokumentarfilm: „Futuro – The Future House from Yesterday“.
Seit 2015 ist Cora Geißler auf den Spuren der noch verbliebenen Futuro Häuser und ihren Nutzern.
Eine filmische Reise zu Menschen, deren Lebensgeschichte unauflöslich mit dem Futuro verbunden ist und die bezeugen, wie unterschiedliche Kulturen und Lebensentwürfe sich in diesem charmanten und eigenwilligen Entwurf spiegeln.

Futuristische Atmosphäre. 2 Personen mit neongrünen Gerätschaften in einem Futuro.
Vortrag „Das Leben mit dem Futuro-Haus und der Roadtrip zu den Futuros in der Welt“, Die Neue Sammlung, 2017.
Foto: Cora Geißler

Satellit – eine Veranstaltungsreihe im Futuro

Zur Präsentation des Futuro in München findet ein umfangreiches Begleitprogramm statt.
Über das Jahr verteilt werden sich Programm-Satelliten mit dem Gebäude und Zukunftsvisionen in Design, Film, Literatur, Musik und Performance auseinandersetzen.

Über die Vortragenden:

Marko Home (Helsinki)

Marko Home arbeitet zur Zeit an seiner Doktorarbeit in Kunstgeschichte an der Universität von Helsinki. Gegenstand seiner Forschung ist der finnische Künstler und Filmemacher Eino Ruutsalo, eines Pioniers des Experimentalfilms, kinetischer Kunst und visueller Poesie der 1960er Jahre. Home schrieb das Drehbuch für den Dokumentarfilm Futuro – A New Stance for Tomorrow (1998) und war zusammen mit Mika Taanila Herausgeber des Buches Futuro – Tomorrow’s House from Yesterday (2002). 2012 und 2015 kuratierte er Futuro-Ausstellungen im WeeGee Exhibition Centre in Espoo, Finnland. Über das Futuro hat er international bereits viele Vorträge gehalten, unter anderem in der Eremitage in St. Petersburg. Home war außerdem Geschäftsführer des kleinen, unabhängigen Verlags Desura, der sich auch Geschichte, Kunstgeschichte und urbane Kultur spezialisiert sowie Direktor von Avanto, einem internationalen Festival für experimentelle Musik und Film.

Porträtfoto in SW von Marko Home.
Porträt von Marko Home.
Foto: Anna Riikonen

Dr. phil. Pamela Voigt, Architektin (Leipzig)

Dr. phil. Architektin Pamela Voigt absolvierte das Studium der Architektur von 1994 bis 2001 an der Bauhaus-Universität Weimar. Von 2001 bis 2005 lehrte und forschte sie innerhalb der interdisziplinären Forschungsgruppe für materialgerechtes Entwerfen und Konstruieren mit faserverstärkten Kunststoffen (FOMEKK) an der Bauhaus-Universität Weimar. Anfang 2007 beendete Pamela Voigt ihre Dissertation zum kunsthistorischen Thema: Die Pionierphase des Bauens mit glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK) 1942 bis 1980.
Seit 2008 projektiert, lehrt und forscht sie als Freischaffende Architektin mehrheitlich zu dem Thema: Bauen mit faserverstärkten Kunststoffen. Dies in einer Büroraum- und Arbeitsgemeinschaft mit Prof. Dr. Elke Genzel als BAKU – Bauen mit Kunststoffen.
Zahlreiche Veröffentlichungen, Vorträge und Lehrtätigkeit.

Porträtfoto in SW von Pamela Voigt.
Porträt von Pamela Voigt.
Foto: Pamela Voigt

Prof. Dr.-Ing. Elke Genzel (Leipzig)

Prof. Dr.-Ing. Elke Genzel studierte Bauingenieurwesen in Leipzig, und lehrt seit 2012, nach Lehr- und Wanderjahren, Bauwerkserhaltung und Baugeschichte an der HTW Berlin. Ihr Schwerpunkt sind die Beurteilung, Erhaltung und Sanierung von Bauten aus Faserverstärkten Kunststoffen.
Bei den Lehr- und Wanderjahren seien besonders die Jahre ab 2001 hervorgehoben, in denen sie beginnt, sich mit faserverstärkten Kunststoffen zu beschäftigen. Während der Zeit in der interdisziplinären Forschungsgruppe FOMEKK schrieb sie Buch und Dissertation zur Geschichte der Tragwerke aus FVK. Seit 2008 verbindet sie mit der Architektin Dr.-phil. Pamela Voigt das gemeinsame Bemühen um den Erhalt und den Neubau von Strukturen aus Faserverbundkunststoffen, in der Arbeitsgemeinschaft BAKU – Bauen mit Kunststoffen.

Porträtfoto in SW von Elke Genzel.
Porträt von Elke Genzel.
Foto: Elke Genzel

Dipl. Rest. Univ. Tim Bechthold (Die Neue Sammlung, München)

Bevor Tim Bechthold von 1994 bis 1997 am Goering-Institut München Möbelrestaurierung studierte, absovierte er eine Schreinerlehre in Bad Tölz.
Von 1998 bis 2002 studierte er am Lehrstuhl für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft, der Technischen Universität München.
Seit 2002 leitet er die Restaurierungsabteilung der Neuen Sammlung – The Design Museum in der Pinakothek der Moderne, die inzwischen zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt der Restaurierung und Konservierung moderner und zeitgenössischer Designobjekte geworden ist.
Er initiiert und organisiert die FUTURE TALKS Konferenzreihe, die seit 2009 im Zwei-Jahresturnus stattfindet und ist Herausgeber der FUTURE TALKS Postprints.
Tim Bechthold hat zahlreiche Vorträge zur Restaurierung von Kuntstoffen gehalten.
Er ist beratend tätig und lehrt am University College of London (UCL) in Doha, Qatar und an der Technischen Universität in München.

Porträtfoto in SW von Tim Bechthold.
Porträt von Tim Bechthold.
Foto: Tim Bechthold

Cora Geißler (Berlin)

Cora Geißler arbeitet als freie Ausstatterin und Requisiteurin für Film- und Fernsehproduktionen in Berlin. Ihr Berliner Futuro-Haus dient unter anderem als Filmhintergrund für die Kinderserie TERRA-MAX des ZDF. Momentan arbeitet sie an einem Film über die weltweit erhaltenen Futuro-Häuser und ihre Bewohner.

Porträtfoto in SW von Cora Geissler mit Kind auf den Treppen eines Futuros.
Porträt von Cora Geißler.
Foto: Cora Geißler